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EKG-Gabel
 
Hermann Heimlich (1856-1905)
und die EKG-Gabel


Karriere
Heimlich, geboren als zweiter Sohn eines Architekten in Goch, studierte Medizin an der Universität in Köln, erlangte seine Approbation 1884 und promovierte 1886 zum Thema "Trepanation bei chronischen Cephalgien". Seine Leidenschaft galt jedoch der Physiologie, insbesondere der Elektrophysiologie.


Das EKG im späten 19. Jahrhundert
Ende des 19. Jahrhunderts suchte Hermann Heimlich, mittlerweile Obermedzinalrat in Kevelaer, nach einer einfachen Methode ein EKG zu befunden. Das Schreiben und die Auswertung eines EKG war seinerzeit noch mit einem sehr hohen Aufwand verbunden. Der Ausdruck erfolgt zumeist auf normalem Papier, also nicht auf Millimeterpapeier, so wie es heute üblich ist

Der nicht aufzuhaltende technische Fortschritt ermöglichte 1893 den Serienbau eines Elektrokardiographen, den sich nicht nur die Universitäten, sondern auch vermögende Landärzte leisten konnten, die jedoch mit der Interpretation überfordert waren. (Anm.Red: Es kursieren Gerüchte, dass letzteres auch heute noch weit verbreitet ist).

(Abb. Heimlich und sein Einthoven EKG)

Heimlich suchte nach einem Alltagsgegenstand, mit dem jeder Hausarzt bestimmte EKG-Kriterien einfach ausmessen/bestimmen konnte. Dieser Gegenstand sollte leicht zu beschaffen sein und eine hohe diagnostische Sensitivität bieten.

Ein Haushaltsgegenstand wurde nur zwei Jahre später zu einer genialen Erfindung. Bei der jährlichen "Zusammenkunft niederrheinischer Medizinalräte" in Xanten im Jahre 1895, zu dem er und seine Kollegen viele in ihren Praxen geschriebene EKG zusammentrugen, wollte es der Zufall, das mit einer normalen Küchengabel die geforderte diagnostische Sicherheit von >85% erreicht wurde.

An einem Wochenende wurde über 500 EKG systematisch analysiert und in 462 Fällen stimmte die klinische Diagnose mit der EKG-Diagnose überein (1)

(1) Quelle: 51. Jahrbuch der Zusammenkunft niederrheinischer Medinalräte



Die EKG-Gabel


                                            (Abb. zeigt Original Skizze)

Heimlich postulierte seinerzeit folgende Thesen
(gültig für alle Elektrokardiogramme mit einer Schreibgeschwindkeit von 300cm/min und einer Verstärkung von 100µV/mm).

a)
Entspricht die Gabellaenge vierer der QRS-Komplexe, so gilt die Herzfrequenz als normal.

BILD FOLGT

Das Anlegen der Gabel zeigt bei exakt 4 QRS-Komplexen pro Gabellänge eine Frequenz von 80/min. (Nimmt man gerundet das Spektrum 3,5 bis 4,5 QRS-Komplexe pro Gabellänge, errechnet sich ein Frequenzsprektrum zwischen  70 und 90/min. Nach heutiger Defintion gilt jemand als bradykard bei <60/min und als tachykard bei >100/min, so trifft Heimlich mit seinen 4 Gabellängen genau die Mitte der "Normfrequenz" 

b)
Die Gabelbreite solle der QT-Zeit entsprechen. Eine Verschiebung der Blutsalze, vor allem des Potassiums, und somit ein Einfluss auf die Erregbarkeit der Herzmuskelzelle gelte als unwahrscheinlich.




Hier wird es schon komplizierter, da die "normale" QT-Zeit frequenzabhängig ist. Dies war damals noch nicht bekannt, so dass wir hier nur von normfrequenten EKGs ausgehen dürfen. Unser Küchengabel hat eine Gabelbreite von 18 mm. Dies entspricht 360 ms.  Die QT-Zeit sollte bei einer Frequenz von 80/min zwischen 300 und 370 ms liegen. Auch hier hat Heimlich also das Ausmessen mit seiner EKG-Gabel sehr
vereinfacht. 



c)
Die PQ-Zeit solle der Gabelschaftbreitean ihrer schmalsten Stelle entsprechen und diese keinesfalls überschreiten. Somit ist eine Erkrankung der Ueberleitung von den Atrien auf die Kammern auszuschliessen.



Bei unserer Test-Gabel entspricht die Gabelschaftbreite einer Zeit von 190 ms. Da die Grenze für einen AV-Block bei > 200 ms liegt, hat Heimlich hier mit Sicherheit sein vorgegebenes Ziel von 85% Sensitivität erreicht. 



d)
Kommt es in der Erregungsrueckbildung zu einer Erhebung der ST-Kurve, die hoeher ist als der freie Abstand zweier Gabelzinken, hat eine Infarzierung des Herzmuskels stattgefunden. Der Patient gilt als unrettbar.








Der freie Abstand zweier Gabelzinken liegt bei unserer Gabel bei  0,5 mV. Hier muss man Heimlichs These genauer betrachten. Mit Sicherheit werden durch die Auswertung mit der EKG-Gabel viele Infarkte übersehen, jedoch muss man Heimlich recht geben, dass die "unrettbaren" bestimmt erkannt werden und von den "rettbaren" abgegrenzt werden können. Die erste Abbildung zeigt einen "rettbaren" Infarkt, die zweite einen "unrettbaren" 


e)
Ist in der fuenften praekordialen Ableitung der Ausschlag des R groesser als der dopplete Abstand der beiden auesseren Gabelzinken, ist eine Hypertrophie des Herzmuskels zu postulieren. Bei diesen Patienten ist hoechste Obacht geboten; sie sind durch den ploetzlichen Herztod insbesonders gefaehrdet.




Hier kommt der heute bekannte Sokolow-Lyon-Index ins Spiel. Die Gabelbreite, die in b) noch für die QT-Zeit benutzt wurde, wird nun in der Y-Achse gemessen. Die doppelte Breite unserer Test-EKG-Gabel entspricht 4,2 mV
Heute gilt "R in V5 + S in V2 > 3,5 mV" als Kriterium für eine linksventrikuläre Hypertrophie. Somit hat Heimlich seinerzeit auch die Patienten mit deutlicher Hypertrophie  herausgefiltert, die wirklich gefährdet waren, einen plötzlichen Herztod zu erleiden. 



Heimlichs Zukunft, seine Visionen und sein Tod

Heimlich arbeitete mit großem Eifer daran, die EKG-Gabel in ganz Europa zu verbreiten. Er betonte auf Vorträgen im In- und Ausland immer wieder, wie wichtig eine Normung der Gabel sei, so dass eine einheitliche standardisierte Diagnostik erfolgen kann.
Viele Monarchien boykottierten jedoch die Produktion anderer Gabeln als die für ihr Reich vorgesehene. Importe der Heimlich-Gabel wurden streng untersagt und z.B. in den skandinavischen Ländern mit hohen Freiheitsstrafen geahndet.
Heimlichs harte Linie beraubte ihn im Kreise der Ärzteschaft zunehms seiner vormals guten Reputation. Hinter vorgehaltener Hand wurde über eine beginnende Geisteserkrankung spekuliert. 

                                  ("Der Hochgabler" zeitgenössische Karrikatur
                                            Heimlichs, Kaiserlicher Medizinanzeiger 1905)


So schnell, wie Heimlich in Deutschland zu Ruhm gekommen ist, so schnell verarmte er auch wieder, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts standardisierte EKG-Kriterien durch die "Kaiserliche Reichsgesundheitsbehörde" erlassen wurden und die EKG-Gabel überflüssig machten. Die ersten EKG-Lineale eroberten den Markt.

1898 fand in Berlin ein Treffen zwischen Heimlich und Popov in Beisein von Reichskanzler Bismarck statt. Popov präsentierte zwei Jahre zuvor die schnurlose Übertragung von Signalen auf  dem St. Petersburger Universitäts-Gelände. Die Idee, hausärztlich aufgezeichnete EKG-Signale an Universitätskliniken zu übertragen und von Experten befunden zu lassen, fand - wohl aufgrund des hohen finanziellen Aufwands - bei Bismarck keine Zustimmung.

                                                (Abb.: Treffen zwischen Heimlich,
                                                 Popov und Reichskanzler Bismarck)


Nach Differenzierung der EKG-Kriterien und vergeblicher Überzeugungsarbeit sowie immer wiederkehrenden Niederlagen, die Verbreitung seiner EKG-Gabel betreffend, zog sich Heimlich immer mehr zurück und vereinsamte.

1902 starb seine Frau auf einer Reise nach Frankreich - seiner Meinung nach an einem nicht erkannten Infarkt.
Nach einem Suizidversuch im Jahr 1904, erfolgte die lebenslange Unterbringung Heimlichs in einer Nervenheilanstalt in Berlin-Pankow.


Am Morgen des 04. Juli 1905 wurde Heimlich  - nur 49 Jahre alt - tot in seinem Zimmer vorgefunden. Über seine Todesursache wird spekuliert. Die offizielle Todesbescheinigung wurde bis heute nicht gefunden.



Es genügt nicht, keine Ahnung zu haben,
man muß auch anderer Meinung sein.
 Klaus Klages

Stets auf der Höhe der Zeit:  
   
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